Das neue Gotteslob
... und der Druck des „Oremus“ nach dem Krieg
Bis in die 80ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte jedes Mitglied einer katholischen Familie ein eigenes Gebetbuch. Wenn ein Kind zur Ersten hl. Kommunion ging, bekam es von seiner Patentante bzw. - Onkel das Gebetbuch geschenkt. Zumeist war das Buch zu diesem Anlass in Leder gebunden und mit einer Schutzhülle aus dem gleichen Material versehen. Für die Mädchen gab es das Gebetbuch aus weißem Leder, für die Jungen aus schwarzem Leder.
Zum Entsetzen der Druckerei, die gleichzeitig die Vertragsgerechte besaß, nahm die Druckauflage rapide ab, als die Pfarren die Gebetbücher für den Gottesdienst selbst bereitstellten. Ab da kauften nur noch wenige Gläubigen ein eigenes Gebetbuch.
Beim Druck eines Gebetbuches oder der Bibel
ist ganz besonders auf die Papierstärke zu achten. Man nennt es Dünndruckpapier, aber auch Bibeldruckpapier. Es ist eine holzfreie, sehr dünne geleimte Papierart, lichtundurchlässig (hohe Opazität) und zwischen 25 und 60g/qm stark. Ein Grund für das Gebetbuch Dünndruckpapier zu verwenden, ist der Seitenumfang. Beim Gotteslob sind es wie beim Vorgänger ca. 1200 Seiten. Die Stärke (Dicke) des Buches und auch das Gewicht werden deutlich reduziert und sind daher leichter zu handhaben.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wurde das Gebetbuch „Oremus“ neu aufgelegt. Dazu wurde das Buch im Handsatz komplett neu gesetzt. Eine heute kaum vorstellbare Arbeit. Ca. 600 Seiten, etwa eine Million Buchstaben, waren zu setzen. Das war wochenlange Arbeit für mehrere Setzer. Da diese Anzahl von Lettern nicht vorhanden waren, setzte man einen Druckbogen, jeweils 32 Seiten in Schön- und Widerdruck (Vorder- und Rückseite). Diese beiden Formen kamen nacheinander in die Druckmaschine. Das war vor 75 Jahren das Hochdruck-Verfahren, bekannt als Buchdruck. Während die erste Form in der Maschine lief, wurde der 2. Bogen gesetzt. Die Buchstaben des 1. Bogens wurde nach Ausdruck in den Setzkasten zurückgelegt. Dabei war höchste Sorgfalt angesagt. So wurden die Druckformen im steten Rhythmus gesetzt und gedruckt. Der überwiegende Teil des Gebetbuches, war der Liedteil. Zu jedem Lied wurde die Noten eingebaut. Das Notenstechen für den Buchdruck war ebenfalls eine aufwendige Handarbeit, die von Spezialisten ausgeführt wurde. Handsatz und Notenklischees wurden zu einer Kolumne umbrochen und auf einheitliche Höhe (Satzspiegel) justiert.
1952 kam ich bei der Druckerei B.Kühlen in Mönchengladbach als Schriftsetzer in die Lehre. Bereits in der Lehre bekam ich einen Großauftrag, eine weitere Auflage des Gebetbuches „Oremus“ zu umbrechen.
Werbung für Linotype-Setzmaschinen um 1905. Slogan – die Maschine ersetzt fünf Handsetzer (Fotos: Wikipedia)
Diesmal kam die Linotype Setzmaschine zum Einsatz. Jede Zeile ist hier starr auf den vorgegeben Schriftkegel gegossen. Meine Arbeit war aufwendig und gleichsam langweilig. Die Satzspiegelhöhe musste deckungsgleich mit der von Hand gesetzten Vorauflage justiert werden. Weil die starre Linotype Zeile auf einer Seite „Rippen“ hatte, trug sie auf. Und jetzt begann meine mühsame Handarbeit. Man stellte mir eine Feile zur Verfügung. Die Rippen mussten abgefeilt werden, um so die einzelne Seite so hoch zu justieren wie beim Handsatz der Vorauflage. Das war wochenlange Schinderei, an manchen Tagen hatte ich wunde Finger!
Lettern als starrer Zeilenguss - (Wikipedia) | Jetzt kommt der Hammer, ich hatte wie jeder andere Lehrling ein Berichtsheft zu führen, und zwar Tag für Tag. Als ich das Heft meinem Lehrmeister vorlegte, sagte er: „Du schreibst ja jeden Tag das Selbe, da muss Abwechslung rein!“ Meine Antwort: „Ich schreibe jeden Tag nichts anderes als die reine Wahrheit!“ „Du schreibst das neu, so können wir das Berichtsheft nicht dem Prüfungsausschuss vorlegen!“ Was blieb mir anders übrig, ich wurde zum Dichten und Täuschen gezwungen. Widerspruch war in der damaligen Zeit für einen Lehrling undenkbar. |
Zum ersten Mal konnte ein Werk, in diesem Falle das Gebetbuch „archiviert“ werden. Der gesamte Umbruch, Kolumnen, wurden aufbewahrt und das Gebetbuch konnte jederzeit neu gedruckt werden.
Danach gab es ein Verfahren, wo die Seiten zu Matern geprägt, und mit einer neu entwickelten Masse zu Semperit-Klischees ausgegossen wurden. Mit diesen Kunststoffplatten erreichte man bei einem Nachdruck gleichbleibende Druckqualität. Diese Platten wurden platzsparend aufbewahrt. Auch hier wurde das Buchdruckverfahren angewendet.
1973 wurde das Gebetbuch inhaltlich verändert, und unter dem Titel „Gotteslob“ neu aufgelegt. Zum. ersten mal wurde im Offsetverfahren gedruckt. Die Drucker mussten auf das neue Verfahren umgeschult werden. Ab sofort war der Offsetdruck ein neuer Lehrberuf und verdrängte sehr schnell den klassischen Buchdruck. Die im neuen Gebetbuch veränderten Seiten mussten ebenfalls noch im Bleisatz neu gesetzt werden. Zusammen mit den unveränderten, archivierten Platten wurden die Seiten auf spezieller Cellophan-Folie abgezogen und seitenweise ausgeschnitten. Diese Seiten wurden auf eine große Filmfolie wieder mit 32 Seiten ausgeschossen. Das bedeutete, dass die Seiten nach dem Falzen in der richtigen Reihenfolge zu lesen sind. Diese Montage wurde dann auf die Offsetplatte kopiert und in die Druckmaschine eingespannt. Die beim Buchdruck so aufwendigen Einrichtzeit wurde erheblich verkürzt und auch die Laufgeschwindigkeit war deutlich höher.
Das „Neue Gotteslob“ wurde total überarbeitet. Durch ein spezielles Notensatzprogramm werden die Noten mit dem Fließtext sofort zu einer Seite zusammen gefügt. Alles wird am PC erstellt. Im Gegensatz zum Setzer, der seine Arbeit im Stehen ausführte, hat der heutige Mediengestalter einen gut ausgestalteten Arbeitsplatz mit ergonomisch geformten Sitzplatz. In der neuen Auflage kam Rot als Zusatzfarbe zum Einsatz. Die Schmuckfarbe gab anders, als beim einfarbigen Druck der früheren Ausgaben, eine wesentlich bessere Übersicht und Orientierung. Das Ausschießen wird über Computer gesteuert und direkt auf die Offsetplatte kopiert, „Computer to Plate“. Bei solch großen Auflagen ist heute der Rollendruck Favorit.
Das Gesang- und Gebetbuch wurde zehn Jahre lang komplett überarbeitet und erschien zum ersten Advent 2013 in völlig neuer Fassung.
Jetzt bin ich schon eine Weile Rentner. Die rasanten Fortschritte in der Medien- und Druckindustrie faszinieren mich noch immer täglich.
Wenn sich heute alte Kollegen, Jünger der „Schwarzen Kunst“ treffen, heißt es: „Als wir in die Lehre kamen, war alles noch „Gutenberg“ Werner Marx |
Fotos: Werner Marx, Wikipedia